Enteignung und Entschädigung bei Betriebsverlagerung
2. September 2023 von P. Merker
Betriebsverlagerung, Enteignung, Entschädigung – worum geht es?
Privates Eigentum ist geschützt. Niemand muss sich vor Enteignungen fürchten (auch wenn so mancher Parteifunktionär davon träumen mag.) Trotzdem ist es manchmal nicht vermeidbar, für wichtige Infrastrukturmaßnahmen im Interesse der Allgemeinheit auf private Grundstücke zurückzugreifen.
Denken Sie einmal an die Hamburger HafenCity, die auf ca. 157 ha ehemaligem Hafen- und Industriegelände gebaut wurde.
Wir wollen an dieser Stelle nicht den müden Saarland-Vergleich bemühen (Hand aufs Herz: Sie haben wahrscheinlich genauso wenig wie wir eine Vorstellung davon, wie groß das Saarland ist). Allerdings – und das ist sehr anschaulich – entspricht die Fläche ca. 40 Prozent der Hamburger City-Fläche!
(Auf der Webseite der HafenCity finden Sie noch mehr interessante Facts.)
Stadtentwicklungsprojekte sind in Bezug auf die benötigten Grundstücke sehr herausfordernd: Angefangen von möglichen großen Wertveränderungen, die auszugleichen sind, bis hin zu Enteignungen als Ultima Ratio, die natürlich zu entschädigen sind.
Denn natürlich waren die Grundstücke rund um die Elbe keine Brachen sondern – wie gesagt – Hafen- und Industriegelände. Es gab dort jede Menge Gewerbebetriebe und Logistikunternehmen, wie zum Beispiel die Firmen Cellpap oder FRIGO Kühlhäuser.
Darüber hinaus mussten diese Grundstücke für diese gigantische Entwicklungsmaßnahme freigeräumt werden, das heißt, die Betriebe mussten verlagert werden.
Da auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb unter den Schutz des Eigentums fällt, sind auch die mit der Betriebsverlagerung verbundenen Kosten zu entschädigen und damit kamen wir als Sachverständige für Anlagen- und Maschinenbewertung ins Spiel.
Ein anderes Beispiel ist der Bau von Bundesstraßen und Autobahnen (auch wenn das so manch anderem Parteifunktionär in diesem Fall Albträume bereitet). Wir hingegen glauben, dass ein intaktes und intelligentes Fernstraßennetz ausgesprochen wichtig für unser Land ist.
Beim Ausbau des Straßennetzes stellen sich ebenfalls Fragen nach den benötigten Grundstücken, nach Ausgleichszahlungen, Entschädigungen und Folgekosten bei notwendigen Betriebsverlagerungen.
Ein drittes, und aktuell sehr prominentes Beispiel wo wir tätig waren, ist der geplante (und inzwischen wieder entplante) Tunnelbau auf dem Köhlbrand als Ersatz für die Köhlbrandbrücke, denn auch für den Ein- und Ausgang des Tunnels brauchen Sie Land.
In solchen und ähnlichen Fällen ermitteln wir die Verlagerungsfähigkeit, die Verlagerungskosten sowie die damit einhergehenden Folgekosten der Betriebsverlegung. Welche das sind und wie wir vorgehen, das erfahren Sie im Folgenden.
Wir haben schon fast alle Arten von Unternehmen bei der Ermittlung von Verlagerungskosten unterstützt: Schüttgutläger, Kirchen, Reizwäscheläden, Motorradwerkstätten, Pizzerien, Postfilialen, Schneidereien, Taxizentralen und ein öffentliches Schwimmbad. Und jede Menge Industriebetriebe.
Zunächst möchten wir jedoch grundsätzlich einige Erläuterungen zum Thema Entschädigung und Enteignung geben, denn in der Praxis treffen wir sehr häufig auf Unklarheiten und Verunsicherung. Im Anschluss werden wir uns mit der Verlegung von Gewerbebetrieben, mithin der eigentlichen Betriebsverlagerung, beschäftigen.
Gesetzliche Grundlagen
Die wichtigste gesetzliche Grundlage ist natürlich § 14 Abs. 3 Grundgesetz, welche explizit bestimmt, dass im Falle einer Enteignung zu entschädigen ist. Als zweites seien die §§ 93 ff. des Baugesetzbuches genannt und als letztes die entsprechenden Landesenteignungsgesetze.
All diese Regelungen in diesen Gesetzestexten sind jedoch recht allgemeiner Natur – daher beruhen viele Entschädigungsgrundsätze auf Rechtsprechung.
Einige wichtige Aspekte, die man in diesem Zusammenhang wissen sollte, schauen wir uns an.
Beachten Sie, dass wir keine Juristen sind. Wenn Sie konkrete Fragen zu gesetzlichen Ansprüchen oder Sachverhalten haben, so nehmen Sie sich einen guten Anwalt!
1. Entschädigung ist kein Schadenersatz!
Vermutlich gibt es regalweise gute juristische Abhandlungen zu dem Unterschied zwischen Schadenersatz und Entschädigung. Wichtig ist, dass die Entschädigung auf Wertausgleich abzielt und der Schadenersatz das Geschehene sozusagen ungeschehen machen soll.
Der Wertausgleich will Sie also in die Lage versetzen, sich einen gleichwertigen Ersatz zu beschaffen, wobei es nicht darauf ankommt, ob das tatsächlich gelingt.
In der Praxis bedeutet das, das nicht alle gegenwärtigen und zukünftigen Einbußen ersetzt werden. Zum Beispiel zählt nicht, was jemand “hätte haben können”.
2. Wer ist zur Entschädigung verpflichtet?
Zur Entschädigung verpflichtet ist der Begünstigte, also die Behörde, dessen Aufgaben durch den Eingriff wahrgenommen werden bzw. der die Vorteile zufließen. Nicht verpflichtet ist die Behörde, die anordnet bzw. den Eingriff vornimmt.
3. Die Höhe der Entschädigung
Die Entschädigung bemisst sich nach dem Wert des Weggenommenen. Dieser wiederum ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu ermitteln. Das kann im Einzelfall tatsächlich bedeuten, dass eine Entschädigung auch geringer als der volle Wert des Weggenommenen ausfallen kann.
4. Die Grundsätze gelten auch bei gütlicher Einigung
Alle Grundsätze zur Enteignungsentschädigung gelten auch bei gütlicher Einigung!
Das finden wir sehr wichtig, denn es deckt sich mit unserer Arbeitserfahrung: In den allermeisten Fällen sind die Behörden sehr bestrebt, sich mit den betroffenen Grundstückseigentümern und Betriebsinhabern fair und transparent zu einigen (statt zu enteignen). Daher ist es auch eine gute Idee, den Sachverständigen, also zum Beispiel uns, auf den Hof zu lassen, denn sein Gutachten ist Entscheidungsgrundlage für eine Einigung.
Es ist mir einmal passiert, dass – wie im schlechten Tatort – der Kampfhund losgelassen wurde und ich frage mich heute noch, was damit gewonnen werden sollte …
Unserer Erfahrung nach versuchen die Behörden alles, um mit den zu verlagernden Unternehmen zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Fast immer werden ortsnahe Ausgleichsflächen angeboten. Auch haben die Unternehmen immer genug Zeit, um sich auf die Verlagerung vorzubereiten. Schließlich müssen am neuen Standort ja auch erst die Voraussetzungen für einen Umzug geschaffen werden. Manchmal muss sogar neu gebaut werden.
Dies hat natürlich auch seine Vorteile, da die Unternehmen nun gegebenenfalls neue Ideen in der Strukturierung ihrer Immobilie umsetzen können, etwa bei der Anlage von Logistikwegen.
Sehr anschaulich schildert die DEGES auf ihrer Webseite ihr Vorgehen bei der Grundstücksakquise für den Fernstraßenbau.
5. Der Bewertungsstichtag
Der Bewertungsstichtag ist üblicherweise der Tag, an dem die Behörde über die Enteignung entscheidet. Dieser kann jedoch auch vorverlegt werden. Wenn die Behörde etwa ein faires und angemessenes Kauf- oder Tauschangebot gemacht hat, um die Enteignung zu vermeiden, so rutscht der Bewertungsstichtag auf den Tag dieses Angebotes vor. Auch wenn dieses nicht angenommen wurde! So kann es passieren, dass bis zum Zeitpunkt der Enteignung eintretende Preiserhöhungen nicht mehr berücksichtigt werden.
6. Die Betriebsverlagerung
Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb ist besonders geschützt. Das gilt auch, wenn das Grundstück nur gemietet oder gepachtet ist. Wenn also der Gewerbebetrieb aufgrund einer Enteignung (oder eben einer drohenden Enteignung) nicht mehr am Standort ausgeübt werden kann, muss dieser verlegt werden. Es geht also darum, die Kosten der Verlagerung zu ermitteln und zu erstatten.
Wir kommen auf diesen – für uns als Sachverständige für Maschinenbewertungen – wichtigen Teilaspekt zurück.
7. Die Kosten eines Anwalts und/oder Sachverständigen
Auch die Kosten für anwaltlichen und/oder sachverständigen Beistand gehören zu den Nachteilen, die aus einer Enteignung entstehen können und sind daher entschädigungspflichtig.
Verlegung eines Gewerbebetriebes (Betriebsverlagerung)
Nicht nur das Eigentumsrecht oder das – dem Eigentum hier ähnlichem Pachtrecht – an einem Grundstück ist geschützt, sondern auch der Gewerbebetrieb, der auf dem Grundstück betrieben wird. Geschützt ist dabei alles, was den wirtschaftlichen Wert des Betriebes ausmacht.
Wenn der Betrieb aufgrund der Enteignung (oder der gütlichen Einigung) am alten Standort nicht mehr betrieben werden kann, muss er verlegt werden.
Neben einer Entschädigung für den Verlust des Grundstückes und der Gebäude kann der Gewerbetreibende auch den Aufwand geltend machen, der für die Herrichtung eines anderen Grundstückes erforderlich ist, und zwar so, dass dieses in gleicher Weise wie das alte nutzbar ist.
Die Entschädigung kann sich also im Einzelfall aus einer ganzen Reihe von Posten zusammensetzen.
Dabei bildet der für die Verlegung auf ein anderes Grundstück erforderliche Aufwand die Obergrenze der Entschädigung – das heißt, es kann auch weniger sein, und zwar wenn der tatsächliche Verlust geringer ausfällt.
Die Logik bei der Ermittlung des Verlagerungsaufwandes ist ähnlich wie bei der Ermittlung eines Verkehrswertes:
Entschädigungsfähig sind die Kosten, die ein verständiger Dritter aufwenden würde, wenn er die Verlegung des Betriebes selbst bezahlen müsste.
Und auch wenn auf die Verlegung von Seiten des Betriebsinhabers verzichtet wird – aus welchen Gründen auch immer – kann als Entschädigung der Verlegungsaufwand verlangt werden – aber auch nur dieser. Diese müssen dann im Zweifel auf Basis einer fiktiven Betriebsverlagerung ermittelt werden. Dabei ist regelmäßig von “mittelprächtigen” Gesamtumständen auszugehen – also weder besonders günstige noch besonders ungünstige.
Es wird also deutlich, dass nicht der Unternehmenswert, also der Verkehrswert des Betriebes, gezahlt wird!
Das leuchtet ein, wenn man sich überlegt, dass der Unternehmenswert auch aus Komponenten besteht, die durch die Verlegung nicht beeinträchtigt werden. Denken Sie an Patente, Fertigungs-Knowhow, Lieferanten- und Kundenbeziehungen usw. usf.
Verlagerungskosten vs. Folgekosten
Manche Verlagerungskosten ergeben sich erst im Laufe der Ermittlungen. So gibt es Maschinen und Anlagen, die zwar prinzipiell verlagerungsfähig sind, aber die Verlagerung zu absurd hohen Folgekosten führen.
Bei der Verlagerung eines Tiefkühlhauses stellte sich schnell raus, dass die Kühlraumtüren und Kälteaggregate zwar prinzipiell verlagerungsfähig gewesen wären, aber dies zu einer monatelangen Unterbrechung des Betriebes am neuen Standort geführt hätte.
Ein ähnlicher Fall ergab sich bei einem Gefahrstoffbetrieb, bei dem die Unternehmenszentrale wegen eines Autobahnbaues verlagert werden musste. Es stellte sich allerdings heraus, dass im Keller des Verwaltungsgebäudes sämtliche Alarmsysteme und Meldelinien sowie die Kommunikationszentralen für den gesamten Betrieb zusammenliefen.
Diese hätten natürlich theoretisch verlagert werden können, aber dies hätte zu einer Unterbrechung des Betriebs geführt, da ohne funktionierende Alarmtechnik ein Betrieb seitens der Behörden nicht gestattet worden wäre. Sowohl der redundante Aufbau der Technik sowie insbesondere der Planungsaufwand waren anfänglich nicht absehbar gewesen und beträchtlich.
Auch sind manchmal Spezialtransporte notwendig für Schüttgüter oder empfindliche Güter wie Klaviere oder große Marmorplatten.
Bei den nicht verlagerungsfähigen Anlagengütern wird der Zeitwert der Anlage entschädigt, also der Wert nach Alter und Gebrauch. Klassische Beispiele für nicht verlagerungsfähige Anlagengüter sind elektrische Unterverteilungen, Verkabelungen aller Art, Beleuchtungen und auch Maschinenfundamente.
Des weiteren können folgende Kostenpositionen relevant werden:
- De- und Remontage bei den verlagerungsfähigen Anlagen sowie die eigentlichen Verlagerungskosten
- Kosten für die Herrichtung des Grundstückes wie etwa Auffüllungen, Umbau, Einfriedigung, Erschließungskosten, Wasser und Stromanschluss usw. usf.
- Reisekosten anlässlich der Verlegung
- Aufwand wegen Unbrauchbarkeit des alten Inventars
- Anlaufkosten für den neuen Betrieb
- Kosten für anfängliche Bewirtschaftungsschwierigkeiten
- Minderung des Firmenwertes, etwa wegen einer schlechteren Lage
- Verlust bestimmter Kundengruppen, zum Beispiel auch aufgrund einer schlechteren Lage
- Beratungskosten, etwa für Rechtsbeistand oder Sachverständige
Auf jeden Fall kommt es immer auf sachliche Gesichtspunkte an und nicht darauf, was der Betroffene für erforderlich hält!
Kein Verlegungsaufwand sind beispielsweise Zinsen, die für den Kauf eines Ersatzgrundstückes anfallen. Gleiches gilt für Finanzierungskosten für den Bau neuer Betriebsgebäude. Hier wird davon ausgegangen, dass dem höheren Finanzierungsaufwand entsprechend höhere Vermögenswerte gegenüberstehen.
Wenn die Entschädigung für den Verlust und die Verlegungskosten den Unternehmenswert übersteigen, so ist allerdings auch nur der Unternehmenswert zu entschädigen, denn eine Besserstellung wird ausgeschlossen. Gegebenenfalls können noch Aufwendungen, wie sie für einen Neuerwerb typisch sind, hinzukommen. Die Obergrenze bilden jedoch immer die Verlegungskosten.
Die Höhe des Verlegungsaufwandes hängt ebenso davon ab, ob der Gewerbebetrieb Pächter bzw. Mieter oder Eigentümer des Grundstückes ist.
Während für den Eigentümer die Verlegungskosten nur aufgrund der Enteignung anfallen, gilt das für Mieter bzw. Pächter nicht zwingend. Dieser könnte nämlich am Ende der Pachtzeit ebenfalls zum Umzug gezwungen sein. Die Enteignung greift dem sozusagen nur vor. Es sind also keine zusätzlichen Kosten, sondern nur vorgezogene. Hier wird üblicherweise der Barwert der entgangenen Zinsen für die Verlagerungskosten als Entschädigung angesetzt.
Daneben sind allerdings weitere, voll zu ersetzende Schäden denkbar, wie etwa Zusatzkosten aufgrund einer kurzfristigen Räumung oder Ertragsausfälle, weil nicht sofort geeignete Räumlichkeiten angemietet werden können. Auch die Kosten für nicht verlegbare Einrichtungen, die dem Mieter gehören und die er für seinen Gewerbebetrieb benötigt, können hierunter fallen sowie Werbemaßnahmen für den neuen Standort.
Sie sehen die Materie ist durchaus komplex und geht tief in juristische Fragestellungen hinein.
Wir hingegen beantworten üblicherweise konkret die Frage danach, welche Maschinen, Anlagen und Einrichtungen im Rahmen einer solchen Betriebsverlagerung überhaupt verlegt werden können, und was das kostet.
Unsere Gutachten sind damit eine Entscheidungsgrundlage für Entschädigungszahlungen.
Daher an dieser Stelle nochmal drei Tipps aus der Praxis:
Zögern Sie nicht, sich sachverständige und juristische Unterstützung zu holen, wenn Sie betroffen sind!
Wenn ein Sachverständiger zu Ihnen geschickt wird: Sprechen Sie mit ihm, jagen Sie ihn nicht vom Hof. Ohne Kooperation kommen gute Lösungen selten zu Stande.
Vertrauen Sie darauf, dass Behörden einvernehmliche, faire und transparente Lösungen wollen. Zumindest ist das unser langjähriger Erfahrungshorizont.